Eine Schreckensnacht für Saarlouis
In der Nacht vom 25. zum 26. Februar, "kurz nach 4 Uhr wurden die Bewohner der Französischen Straße und der Nachbarstraßen von einem dumpfen, knallartigen Getöse aus dem Schlaf geschreckt. Noch war man sich nicht klar und noch dabei, dieselben zu deuten, als die verhängnisvollen Rufe "Feuer", "Es brennt" erschollen. Im Nu wurde es in den Häusern lebendig. Man kleidete sich in der Hast und Verwirrung notdürftig an und stürzte auf die Straße, manche Frauen vom Schrecken halb gelähmt und bewusstlos. Da schlugen lichterlohe Flammen aus dem unteren Stockwerk des in der Französischen Straße und Ecke der Bringstraße gelegenen Beaumont'schen Hauses und zwar aus mehreren Fenster zugleich heraus und leckten an den Wänden empor. Die Fenster waren gleichzeitig gesprungen, die Läden des Beaumont’schen Geschäftes nach außen aufgerissen, Glassplitter und Holzstücke bis auf das jenseitige Trottoir geschleudert worden.
Genanntes einstöckiges Haus war von den Familien Beaumont und Donnevert bewohnt; im Erdgeschoss befanden sich zwei getrennte Ladenlokale – Kurzwarengeschäfte und andere Artikel, deren eines – das an der Bringstraßenecke – Frau Witwe Beaumont, das andere Herr Henri Donnevert inne hatten. Die Wohnräume der beiden Familien sowie des Ehepaares Nicolaus Beaumont, zusammen etwa 20 Köpfe zählend, befanden sich im oberen Stockwerk. Der gemeinsame Hauseingang für den außergeschäftlichen Verkehr befand sich in der Bringstraße. Das Haus gehörte dem 70jährigen Herrn Nicolaus Beaumont, Agent der Feuerversicherungsgesellschaft "Deutscher Phönix", und der Witwe Beaumont.
Nächtliche Passanten, welche den Knall vernommen und herbeigeeilt, waren es die zuerst Lärm machten, da wurde es auch in dem brennenden Hause rege, die Hausthür wurde geöffnet und man drang in dasselbe ein, um alle Bewohner zu wecken und rettende Hand anzulegen. Als die ersten Hülfeleistenden an der Stelle wurden die Herren Lieutenant Meizen vom 65. Infanterie-Regiment, zum 8. Feldartillerie-Regiment zeitweilig kommandiert, Levacher, Rudowski und Wegener bemerkt. Ein Herr eilte zur Wache, und von dort zur Kommandantur um die Alarmierung der Garnison zu veranlassen. Inzwischen war schon eine Anzahl Feuerwehrleute herbeigeeilt, die sofort thätig eingriffen, Leitern anlegten und zu retten suchten, was zu retten war. Das Feuer verbreitete sich mit Blitzes schnelle im ganzen Hause, sodaß den Insassen nichts übrig blieb, als alles im Stiche zu lassen und die Straße zu gewinnen, um das nackte Leben zu retten. Die Kinder mussten durch Fenster gereicht und die angelegten Leitern heruntergetragen werden. Wie erwähnt wohnte im Hause das greise Ehepaar Nik. Beaumont. Man hatte die vor Schrecken gelähmte alte Frau glücklich in Sicherheit gebracht, als man mit Bangen ihren Lebensgefährten, den Versicherungsagenten, Herrn N. Beaumont, vermisste. Soeben war er noch hier unten, hieß es, vielleicht ist er da oder dort. Aber Herr Beaumont war nirgends zu finden. Leute wollen plötzich aus dem Innern des brennenden Hauses Hülferufe vernommen haben, einige behaupten sogar, den alten Herrn am Fenster seines nach der französischen Straße gelegenen Zimmers gesehen zu haben, leider ist es traurige Thatsache – und das ist der Grund weshalb diese Schreckensnacht in Saarlouis in 100 Jahren noch nicht vergessen sein wird – dass man den Greis nicht wieder sah und dass man heute morgen im Schutt unter der Stelle, wo sein Zimmer sich befunden, seine halbverkohlte, zusammengeschrumpfte Leiche fand.
Später stellte sich heraus, dass Herr Beaumont, der sehr aufgeregt war, um seine Papiere zu retten, und halb mit Überredung, halb mit Gewalt dazu bewogen werden musste, das Haus zu verlassen. Aber der Gedanke an seine Papiere verließ ihn nicht und als er seine Frau in Sicherheit sah, eilte er mit dem Rufe: "Meine Papiere, ich muß meine Papiere haben", wieder die Treppe hinauf. Herr Lieutenant Meinzen versuchte vergebens, ihn zuückzuhalten, ver-geblich warnte ihn ein im Hause sich befindender Feuerwehrmann, es sei zu spät. Als derselbe ihm nachstürzen wollte, wurde er durch die ihm entgegen schlagenden Flammen daran gehindert. Die Teilnahme an dem Geschick des auf diese schauerliche Weise ums Leben gekommenen pflichttreuen alten Herren ist selbstverständlich allgemein, der Schmerz der Witwe und der Angehörigen ungeheuer groß; möge den Schwergeprüften der große Anteil, den man an ihrer Trauer nimmt, einigermaßen zum Troste gereichen.
Dies alles trug sich in ganz kurzer Zeit zu. Inzwischen war die städtische Feuerwehr fast vollständig erschienen. Gerettet konnte außer einigen der Familie Beaumont gehörigen Gegenstände nichts werden. Man musste sich auf die Sicherung der Nachbarhäuser beschränken und das Feuer in seinem Herde austoben lassen. Ohne die Hülfe des Militärs, das alsbald auch zur Stelle war, seine Löschapparate in Thätigkeit setzte und überhaupt sehr energisch eingriff, wären die Nachbarhäuser jedoch vielleicht nicht unversehrt geblieben. Haushoch schlugen die Flammen empor und beleuchteten die halbe Stadt taghell, Funken, brennende Holzstücke wurden bis weit über den Marktplatz geweht. Glücklicherweise war die Gewalt des Windes nicht groß. Mit Aufwendung aller Kräfte waltete die Feuerwehr ihres schweren Amtes; stellenweise an den gefährlichsten, dem Feuer zunächst liegenden Punkten sah man die Braven schlauchführend, drohende Trümmer umstürzend, mutig ihrer Pflicht obliegen. Aber die zu Gebote stehenden Löschmittel reichten nicht aus. Es fehlt merkwürdigerweise an Führungsschläuchen, um die Spritzen aus den Marktbrunnen oder dem augenblicklich gefüllten Festungsgraben beständig zu speisen. Was sind die in den kleinen Löscheimern herbeigeschleppten Wasserquantitäten gegen die vulkanische Hitze eines Großfeuers? Tropfen auf heißen Steinen. So machte sich denn auch ein Wassermangel empfindlich fühlbar, trotzdem in allen umliegenden Häusern beständig gepumpt wurde und alle im Hausrat vorhandenen Eimer zur Verfügung gestellt wurden, trotzdem die Artillerie auf Wagen in großen Bütten Wasser aus der Saar herbeischleppte. Die Ereignisse dieser Nacht lehren, dass hier nichts zur Sicherheit vor Feuersgefahr notwendiger ist, als die Wasserleitung, oder zum mindesten, die Errichtung des projektierten Reservoirs und der Hydranten bei den laufenden Brunnen am Marktplatz."
Anmerkung des Chronisten:
Der Berichterstatter des Saarlouiser Journals bezieht sich hier offensichtlich auf die zu diesem Zeitpunkt aktuelle Planung und Beratung einer neuen Wasserversorgung für die Stadt Saarlouis. Der Plan des Stadtbaumeisters Dörr von 1892 sah nämlich den Bau eines Hochreservoirs (Wasserturms) im südlichen Glacis in der Nähe der Oberförsterei und den Einbau von vier Hydranten bei den Eckbrunnen auf dem Großen Markt vor. Diese vier Hydranten wurden später gebaut, es waren die ersten in Saarlouis und sind in dem nachfolgenden Plan rot eingezeichnet. Der Wasserturm an der Oberförsterei wurde nicht realisiert, da er von der noch im gleichen Jahr beginnenden Planung eines modernen Wasserwerkes mit Maschinen und Pumpen überholt wurde.
(Quelle: Gabriel Mahren, Von Saarlouisern für Saarlouis, 2006, S. 28 f)
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